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Automatisches Melken – wie geht das?

Wie im letzten Beitrag zum Melken(am Beispiel eines Melkstandes) schon angedeutet gibt es verschiedene Melksysteme. Darunter fällt auch das autonome Melken. Denn bei einem Melkroboter, dem sogenannten automatischen Melksystem (oder kurz AMS) entscheidet nicht der Mensch, wann die Kuh gemolken wird, sondern die Kuh selbst. Wie das genau abläuft, durfte ich mir einmal live und in Farbe anschauen:

Wissensfact: Das AMS wurde bereits in den 1980er Jahren erforscht und wurde 1992 praxisreif.

  1. 1. Die Kuh, die gemolken werden möchte, steht von ihrem Ruheplatz (Liegebox) auf und sucht die Melkbox (diese steht bis zur Hauptreinigungszeit immer offen) auf. In diesem Fall ist diese so in den Liegeboxenlaufstall (Aufenthaltsort der melkenden Herde) integriert, dass sie während des gesamten Melkdurchgangs Blickkontakt zur Herde hat.

 

 

 

2. Sobald die Kuh die Melkbox betreten hat, wird sie über einen Transponder (Anhänger an ihrem Halsband) erkannt. Nun gleicht der Computer ab, ob diese Kuh ein Melkanrecht hat. Das heißt, ob die Kuh überhaupt gemolken werden darf. Dieses Melkanrecht ergibt sich aus der Milchleistung der Kuh, denn alle 10 Liter steht der Kuh eine Melkzeit zu (insgesamt sind in diesem System bis zu 5 Melkungen pro Tag möglich).
ein Beispiel: gibt eine Kuh 30 Liter am Vortag, dann hat sie 3 Melkanrechte am darauffolgenden Tag. Logischerweise kann sie diese aber nicht 3x hintereinander aufbrauchen, sondern diese liegen zeitlich so auseinander, dass die 10 Liter zum Zeitpunkt des Melkens auch im Euter vorhanden sind (dafür teilt der Computer die Melkanrechte der Kuh durch die verfügbare Melkzeit pro Tag, also 24 h –> 3 : 24 ergibt somit 8 Stunden zwischen den einzelnen Melkungen (Zwischenmelkzeit)) 

3. Hat die Kuh kein Melkanrecht, dann öffnet sich die Box nach vorne und die Kuh verlässt den Roboter wieder. Hat sie aber ein Anrecht, dann bleibt die Box verschlossen und die Kuh bekommt eine kleine Menge Kraftfutter gefüttert. Auch die Kraftfuttergabe ist daran bemessen, wie viel Milch die Kuh gibt und wird auf den ganzen Melkvorgang verteilt (das Melken läuft quasi nebenher).

 

 

 

 

4. Für den Melkvorgang werden die Zitzen der Kuh mittels Euterbürsten gereinigt und die Position der Zitzen dann mittels Laser ermittelt. Parallel wird die Lage der Kuh mit Hilfe einer 3 D Kamera geortet, da die Kuh in der Box genügend Bewegungsfreiheit hat, um einen Schritt nach vorn und einen zurück zu machen. Sprich die Lage der Zitzen kann sich durch die Position der Kuh auch während des Melkvorgangs ändern. Übrigens verändert sich auch die Euterform während der Laktation – eine Frischmelkende (Kuh, die gerade in die Milchproduktion einsteigt) hat ein anderes Euter, als eine Altmelkende (Kuh, die schon lange in Milch steht und näher an der Trockenstehperiode ist). Deshalb sammelt der Roboter kontinuierlich kuhbezogene Daten (bei jeder Melkung) und gleicht diese mit dem Datenpool (vergangene Melkungen dieser Kuh) ab, um einmal die Melkbecher optimal anzusetzen und zweitens die Gesundheitswerte der Kuh in Relation zu setzen.

5. Hat der Roboter die Zitzen geortet, dann setzt er die Melkbecher an. Auffällig hier ist, dass jeder Melkbecher eigenständig ist, d.h. es gibt kein Sammelstück wie bei einem herkömmlichen Melkgeschirr, sondern jeder Melkbecher arbeitet für sich autonom. Natürlich wird auch eine Kuh, die mit einem Roboter gemolken wird, vorgemolken. Das Vorgemelk wird auch hier genauso verworfen, wie im herkömmlichen Melkstand, nur wird es hier automatisch in einem separaten Behälter gesammelt und die Vormelkeinrichtung im Melkbecher für den Betrachter unsichtbar. Mittels eines Sensors misst der Roboter die Leitfähigkeit des Vorgemerkt, diese ist bei einem erhöhten Zellgehalt (Indiz für Krankheit) erhöht. Darüberhinaus ermittelt er mit einer Photozelle, ob farbliche Abweichungen, wie zum Beispiel durch Blut, auftreten. Sollte dies der Fall sein, dann verwirft der Roboter das gesamte Gemelk der Kuh.

 

6. Ist ein Euterviertel leer gemolken (wir erinnern uns, alle 4 Viertel arbeiten unabhängig voneinander), dann schaltet sich der Melkbecher automatisch ab und klappt sich auf dem Roboterarm ein. Die Kuh wird in diesem autonomen System solange gemolken, bis alle Viertel fertig sind.
Anders, als in einem herkömmlichen Melksystem, bei dem alle Melkbecher zur gleichen Zeit abgenommen werden. Anschließend werden die Striche der Kuh mit einem Desinfektionsmittel abgesprüht (wie Dippmittel nur in Sprühform). Anschließend wird die ermolkene Milch aus dem Sammelbehälter in den Milchtank gepumpt, das Vorgemelk verworfen, die Melkbecher und Euterbürsten gereinigt und die Kuh durch Zur-Seite-Klappen der Tür im Kopfbereich aus der Melkbox gelassen.im 

7. Im Normalfall verlässt die Kuh die Melkbox ohne Hilfe und die nächste Kuh tritt in die Melkbox. Denn hier ist Dauerbetrieb und nicht selten bildet sich eine kleine Warteschlange im Eingangsbereich der Melkbox. Manchmal, wenn eine Kuh trödelt, und die anderen Kühe ausbremst, dann wird diese mit Hilfe eines leichten Stromimpulses (nicht vergleichbar mit dem Strom, der an einem Zaun anliegt, sondern viel mehr “nur” ein Kribbeln) ausgetrieben. übrigens hat mir der Landwirt erzählt, bei dem ich zu Besuch war, dass er diese Austreibe-Unterstützung die ersten Jahre abgelehnt und gar nicht benutzt hat. Nach Auswertung der Melkdaten hat er aber gemerkt, dass einige Kühe die Melkbox vor allem während der Nacht teilweise über eine Stunde blockiert haben. Dann hat er sich langsam an die Austreibeunterstützung rangetastet und sie von mehreren Minuten, auf 30 Sekunden runtergeregelt. Denn auch bei wenigen Minuten, haben die Kühe die Zeit bis kurz vor Kribbeln ausgenutzt. Mittlerweile verlassen seine Kühe die Melkbox unmittelbar nach dem Öffnen der Tür – ohne Hektik und ohne Trödeln.

Aber nicht alle Kühe nutzen ihre Melkanrechte, diese Kühe meistens sind es um die fünf Kühe, muss der Landwirt morgens und abends manuell zur Melkbox treiben, damit auch diese Kühe gemolken werden (Tierwohl).

Welche Vorteile hat dieses Melksystem?

  • Ein großer Vorteil dieses Melksystems ist, dass durch dieses System bis zu 5 Melkungen pro Tag realisiert werden können und somit im Vergleich zu herkömmlichen Systemen (mit 2 bis 3 Melkzeiten pro Tag) optimierter auf die Bedürfnisse der Kuh eingegangen werden können.
  • Außerdem werden die Kühe nicht vor den Melkzeiten zusammengetrieben, wodurch eine gewisse Unruhe in der Herde entsteht (da die Tiere normalerweise eine natürliche Individualdistanz (d.h. bevorzugter Mindestabstand zu Artgenossen) haben, der im Vorwartehof eines herkömmlichen Melksystems ggf. unterschritten werden kann.
  • Dadurch, dass der Mensch in diesem System eine nachgelagerte Rolle spielt, ist die Herde in sich ausgeglichener und die Herdengemeinschaft gegebenenfalls ausgeprägter (Tierwohl)
  • durch die vielfältigen Werte, die der Roboter erhebt, wird dem Tierhalter / der Tierhalterin ein umfassender Überblick über das Verhalten der Herde (wie oft suchen sie die Melkbox auf usw.) und auch die Gesundheit des Einzeltieres ermöglicht
  • der Melkroboter erkennt übrigens auch brünstige Kühe, denn er wirft eine Meldung aus, wenn die Wiederkauaktivität der Kuh sinkt, während ihre Aktivität (Bewegungsdrang) steigt, in Kombination ist das nämlich ein Hinweis auf eine Brunst und der Tierhalter / die Tierhalterin kann dem Besamer Meldung geben (auf diesem Betrieb erkennt der Roboter rund 80 Prozent der brünstigen Kühe)
  • jeden Tag bekommt der Landwirt / die Landwirtin eine Alarmliste zusammengestellt, die er morgens und abends durchgeht. Auf dieser stehen Kühe, die während der Melkung auffällig waren, z.B. durch hohe Körpertemperatur, oder erhöhte Leitfähigkeit der Milch (Vorgemelkparameter); so kann der Landwirt / die Landwirtin sich explizit diese Tiere genauer anschauen und sie ggf. behandeln

Welche Schwierigkeiten gab / gibt es bei diesem Melksystem?

  • Natürlich wird auch das AMS seit 1992 stetig optimiert. Eine Haupstellschraube ist und bleibt nämlich der Kuhkomfort in der Box, der nicht zu unterschätzen ist. Zu Beginn war die Durchlaufbox (hinten rein, vorne raus) nämlich weniger kuhfreundlich und die Bewegungsfreiheit der Kuh (sie konnte dato keinen Schritt vor und zurück machen, oder sich seitwärts bewegen) war stark eingeschränkt. Das hat dazu geführt, dass die Kuh die Box nicht in dem Maße akzeptiert hat, wie es notwendig gewesen wäre. Seither wird also der Komfort der Kuh in der Melkbox stetig optimiert. 
  • auch das AMS ist störanfällig, es ist ein teures Melksystem, das gewartet werden muss und im Falle eines Ausfalls schnell durch eine(n) Servicetechniker/ in repariert werden muss
  • im Falle eines Stromausfalls ist es ratsam ein Notstromaggregat o.Ä. zur Verfügung zu haben.
  • die Tiere sind weniger an den täglichen Umgang mit Menschen gewöhnt: was für die Tiere ein großes Plus ist (weniger Unruhe, höheres Tierwohl); ist für den Menschen ein Nachteil. Das Treiben von Tieren z.B. um Einzeltiere für eine tierärztliche Maßnahme zu separieren, erzeugt schnell Stress in der Herde und Unruhe im Stall kann die Melkzeiten der Kühe verschieben, was dazu führt, dass der Rhythmus der Kühe aus dem Takt gerät (denn fun fact: die Kühe haben ihre Uhrzeiten, morgens wie abends kommt Kuh X meistens um Uhrzeit X).
  • eine weitere Schwierigkeit des “Minder-Kuh-Mensch-Kontakts” ist, dass der Roboter die körperliche Gesundheit der Kuh nur bedingt greifen kann und bspw. äußere Abszesse am Euter in diesem Melksystem u.U. später auffallen. Im herkömmlichen System lassen sich diese hingegen meistens relativ schnell erkennen und behandeln, da der Melker / die Melkerin die Tiere täglich zweimal zu Gesicht bekommen.

Hast du noch Fragen, Feedback oder Anmerkungen? Ich freue mich von dir zu hören!

 

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