Am gestrigen Tage durften wir den Almauftrieb im Allgäu begleiten. In Juni und Juli werden dort die Jungrinder der Gemeinden auf die Bergwiesen getrieben. Hier verbringt die gemischte Herde die Sommermonate gemeinsam. Wieso dieser Aufwand betrieben wird, welche Vorteile die Almwirtschaft hat und wie die Tiere diese Wanderung wegstecken, erfährst du in diesem Beitrag.
Um eines vorweg zu nehmen: „Alpe“ ist der Allgäuer Begriff für „Alm“. Unter beiden Begrifflichkeiten versteht man hofferne Sommerweideflächen im Gebirge. Meist ist ein Wirtschaftsgebäude an eine Alpe angegliedert, in dem Rinder gemolken werden und Käse gewonnen wird (Sennalpe) oder auch vorbeikommende Wanderer Rast machen und eine Stärkung genießen können.
Wie läuft so ein Almauftrieb ab?
In den frühen Morgenstunden finden sich die Landwirtinnen und Landwirte in der Gemeinde zusammen. Mit der Morgendämmerung, wenn die Straßen noch leer sind und die Touristen noch schlafen, treiben sie gemeinsam ihre Jungrinder über die Landstraße gen Alpen. Einige von ihnen fahren ihren Rindern mit dem Mountainbike hinterher, andere treten den Weg zu Fuß an und einer von ihnen bildet das Schlusslicht. Letzterer begleitet die gemischte Herde mit einem Traktor und Anhänger im Schlepptau. Sollte der Anstieg für eine oder mehrere Kühe nicht schiffbar sein, wird die Kuh oder eben die Kühe auf den Anhänger geladen und soweit wie möglich hochgefahren. Dadurch können sie wieder zu Kräften kommen und müssen nur noch den letzten Anstieg meistern.
Welche Tiere kommen auf die Alm?
Im Allgäu beweiden vor allem Jungrinder die Bergwiesen. Sprich alle Tiere, die über ein Jahr alt sind und nicht gemolken werden, ziehen im Juni / Juli aus dem Laufstall oder von den Hofwiesen in die Berge. Erstkalbinnen, also weibliche Kühe, die noch kein Kalb ausgetragen haben, im Allgäu „Schuppen“ genannt, grasen hier Seite an Seite mit Ochsen. Damit das funktioniert und die Weidesaison harmonisch abläuft, müssen die männlichen Rinder kastriert, sprich im Fachjargon „geochst“, sein.
Achtung: Bei einer „Sennalpe“ ist es anders! Hier werden die Kühe auf den Almwiesen gemolken und es wird Käse hergestellt. Hier kommen natürlich vor allem die Kühe auf die Alm, die Milch geben. Auf diesen Wiesen könnt ihr Kühe auch in Begleitung ihrer Kälber antreffen.
Im Allgäu findet der Almauftrieb traditionell im Juni und Juli statt und das bei jedem Wetter – gleich ob Sonne, Regen oder Gewitter. Nur wenn es unverhofft schneit und das Futter auf den Bergwiesen droht knapp zu sein, wird der Auftrieb verschoben.
Auf 1400 Höhenmetern, 100 Tage lang Stille und Abgeschiedenheit
Während der Almsaison, die 100 Tage dauert, kümmert sich eine Hirtin oder ein Hirte (auch Senner(in) genannt) um die Rinder. Nach vier Wochen wird die Herde noch einmal auf eine höher liegende Alpe umgeweidet. Dann kommen die Landwirte auf die Alpe und greifen der Hirtin unter die Arme. Von da aus treibt sie sie noch einmal auf eine höhere Alpe und wieder zurück. Das Leben hier oben besteht für eine Hirtin oder einen Hirten aus dem Kuhgeläut und der Pflege der Rinder. In diesem Fall hat die Hirtin 62 Rinder in ihrer Obhut.
Apropos Kuhgeläut … Warum trägt jedes Rind eine Glocke um den Hals?
Kuhglocke: Tierschutz oder Lärmbelästigung für Mensch und Tier?
Wer schon einmal Urlaub in den Bergen gemacht hat, wird es kennen – das rhythmische Kuhglocken-Konzert, das von den Bergen in die Täler hallt. Genau genommen handelt es sich hierbei nicht um Glocken, sondern häufig um Blech-Schellen, die an den Seiten vernietet sind. Denn im Gegensatz zu Glocken sind Schellen deutlich robuster. Kommt das Rind mit der Schelle gegen Gestein, geht sie nicht zu Bruch und der Klang verstummt nicht.
Die traditionellen Schellen tragen neben Rindern auch Pferde, Esel, Schafe und Ziegen um den Hals. Sie sollen die Tiere vor Gefahren beschützen und der Hirtin oder dem Hirten immer genau angeben können, wo sich die Tiere aufhalten – quasi wie ein analoger Tracker.
Ob Lautstärke und / oder Gewicht der Schellen und Glocken sich negativ auf die Gesundheit der Tiere auswirken, wird bis heute diskutiert. Bisher liegen dazu aber keine belastbaren wissenschaftlichen Ergebnisse vor. Weitere Infos zu diesem Thema findet ihr auch bei der Aktion Tier, hier.
Vierbeinige Landschaftspflegerinnen und -pfleger
Ohne Almwirtschaft keine Alpe: Klingt überspitzt? Tatsächlich leisten die Rinder einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung der Landschaft, wie wir sie heute kennen. Sie prägen das Landschaftsbild und sorgen dafür, dass sich lichtliebende Pflanzen durchsetzen. Dadurch, dass sie die Wiesen beweiden, leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung der Artenvielfalt. Das kommt auch wildlebende Arten, wie dem Rotwild zu Gute, die präferiert im Offenland leben. Denn würden die Almwiesen nicht abgeweidet werden, würden sie verbuschen und sich die Artenzusammensetzung verändern. Hierbei kommt es liegt es auch an der Hirtin und dem Hirten sensible (schützenswerte) Bereiche vor einem zu großen Weidedruck zu schützen und eine gleichmäßige Beweidung zu generieren.
Laut dem Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Kempten (Allgäu) gibt es im Allgäu 692 Alpen, wovon 43 Sennalpen sind. Insgesamt werden knapp 21.000 Hektar Lichtweide beweidet. Mehr als die Hälfte dieser Fläche befindet sich in Naturschutzgebieten beziehungsweise FFH-Gebieten. Sogenannte FFH-Gebiete sind natürliche Lebensräume von gemeinschaftlichem Interesse, um sie zu erhalten unterliegt ihre Bewirtschaftung der „Flora-Fauna-Habitatrichtlinie„. Die FFH-Gebiete werden auf EU-Ebene gemeinsam mit den Schutzgebieten der Vogelschutz-Richtlinie im Schutzgebietsnetz „Natura 2000“ betrachtet.
Natura 2000 ist das größte grenzüberschreitende, koordinierte Schutzgebietsnetz weltweit. Die Gebiete werden nicht aus der Nutzung genommen, eine landwirtschaftliche Bewirtschaftung (häufig extensiv) ist sogar ausdrücklich erwünscht, da sie an vielen Stellen (wie hier) förderlich für die Artenvielfalt ist. Damit das so bleibt, legen Managementpläne fest welche Erhaltungs- und Entwicklungsmaßnahmen erforderlich sind. Denn es gilt das Verschlechterungsverbot des wertvollen Naturerbes. Auf Basis der Managementpläne werden Naturschutz- und Agrarumweltprogramme, Artenhilfs- und Biotoppflegemaßnahmen gestaltet und umgesetzt. Pläne und Projekte werden vor Umsetzung einer FFH-Verträglichkeitsprüfung unterzogen.
Wie sieht die Zukunft der Bergbauern aus?
Wir haben vor Ort mit Landwirten gesprochen und erfahren, dass es immer weniger Bergbauern und damit auch Almrinder gibt. Viele Betriebe vergrößern sich im Tal und immer weniger nehmen den Weg in die Berge auf sich. Um die Almwirtschaft zu unterstützen und sie zu erhalten, fördert Bayern die Leistungen der Bergbauern mit vielfältigen Maßnahmen wie Ausgleichszulagen. Eine Übersicht über die Leistungen findest du unter anderem hier.
Abstand halten, aufmerksam sein und Tore schließen
Rinder sind Fluchttiere und Alpen ein öffentlicher Raum. Auch auf den entlegensten Bergwiesen begegnen sich Mensch und Tier. Damit die Begegnung für beide Seiten ohne Stress abläuft, müssen Wanderer den Freiraum der Rinder (be)achten. Dies ist vor allem bei Kühen mit Kälbern wichtig. Auf der Alm gilt ein einfacher Verhaltenskodex: Tore schließen und Litzen wieder spannen, damit sich kein Tier verirrt, ausbüxt oder im schlimmsten Fall abstürzt. Abstand halten, auch wenn der Finger auf dem Auslöser der Kamera schon zuckt und das perfekte Foto nur wenige Schritte entfernt ist. In Begleitung von Kindern und Hunden, aber auch sonst gilt: Aufmerksam sein! Fühlt sich ein Tier durch die Nähe von Mensch und Vierbeiner gestresst, sind Körperhaltung und Schnauben ein Frühwarnsystem. Werden die Zeichen missverstanden oder nicht gesehen, kann es zum Angriff kommen.
Almabtrieb, Alpabfahrt, Alpabzug, Viehscheid oder Kiekemma
Traditionell endet die Almsaison mit dem Almabtrieb. Dieser findet jedes Jahr am zweiten Septemberwochenende statt. Ist die Almsaison geglückt und kein Tier zu Schaden gekommen, werden die schönsten Kühe bunt geschmückt und die Rückkehr der Rinder ins Tal ausgelassen gefeiert. Wie das genau aussieht, zeigen wir euch im September 🙂 Wer die schönsten Rinder sind, bestimmt übrigens die Sennerin oder der Senner, die oder der die Saison mit den Rindern verbringt.
Du hast noch Fragen? Schreib sie uns direkt oder in den Kommentaren und wir versuchen sie schnellstmöglich zu beantworten.
Weiterführende Informationen zur Anerkennung von Almen und Alpen in Bayern, Stand 19. März 2020