Alle Welt redet über „Tierwohl“, doch kaum einer weiß was sich hinter diesem Begriff verbirgt. In diesem Beitrag erfährst du, warum die Definition von Tierwohl nicht leicht fällt und in welche Richtungen die Wissenschaft forscht.


Tierwohl und Landwirtschaft

Der Begriff „Tierwohl“ ist vor allem in aller Munde, wenn es um die Landwirtschaft und damit die Nutztiere geht. Jedoch beschränkt sich das Wort „Tier“ technisch gesehen keineswegs auf landwirtschaftliche (Nutz)tiere. Denn unter Tieren werden alle mehrzelligen Lebewesen (Eukaryoten) verstanden, die sich von anderen Organismen bzw. vorproduzierten Kohlenstoffverbindungen ernähren. Die Frage nach der Definition der zweiten Silbe „wohl“ wirft aber tiefergehende Fragen auf.

Die Krux

Einer der Haupt-Gründe für die Vielschichtigkeit des Themas „Tierwohl“ hat seinen Ursprung schon im Wort selbst. Denn hinter diesem Begriff steht keine zufriedenstellende Rundumdefinition. Tierwohl ist aktuell vielmehr eine Frage der Auslegung, denn was genau hinter dem Begriff steht wird von den einzelnen Interessengruppen unterschiedlich aufgefasst. Erschwerend hinzu kommt, dass das diffuse Wort „Tierwohl“ derzeit droht als Modewort für seine starke Marketingwirkung im Lebensmittelbereich in Veruf zu kommen (vgl. Mondon et al. 2017: 11).

Tierwohl beinhaltet sowohl die physische Gesundheit eines Tieres als auch dessen Wohlbefinden, worunter sich die aktive bzw. erfolgreiche Auseinandersetzung mit der Umwelt in Verbindung mit dem Empfinden positiver Gefühle summieren lässt.

Knierim, 2001
Tierwohl im Gesetz?

Der „Schutz der Tiere“ ist seit 2014 auch im Grundgesetz (Artikel 20 a) und damit in der Verfassung verankert. Darüber hinaus gilt das Tierschutzgesetz (TSchG), das seit 2016 das Verantwortungsgeflecht zwischen Mensch und Tier als „Mitgeschöpf“ festhält:

Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.

§ 1 TSchG, 2016
Legehennenverordnung

Weißt du was die Legehennenverordnung ist? Das ist ein anderes Wort für die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (TierSchNutztV), die rechtliche Basis für alle Tiere, die zu ökonomischen Zwecken gehalten werden.

EU-weit

Durch den Vertrag von Lissabon gilt das Tier in der Europäischen Union seit 2009 als „fühlendes Wesen“ (Art. 13, Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union).

Als Wohlbefinden wird ein letztlich subjektiv definierter Zustand physischer und psychischer Harmonie des Tieres in sich und mit der Umwelt, frei von Schmerzen und Leiden, ohne Überforderung der Anpassungsfähigkeit, aber mit Befriedigung aller artspezifischen und individueller Haltungsbedürfnisse bezeichnet.

Jäger, 2015

Tierwohl, Tierschutz oder doch eher Tiergerechtigkeit?

Achtung, aufgepasst! Auch, wenn die Begriffe Tierwohl, Tierschutz und Tiergerechtigkeit im allgemeinen deutschen Sprachgebrauch gerne in einen Topf geworfen werden, sind sie im eigentlichen Sinne keine Synonyme!

Bricht man den Begriff Tierwohl stark vereinfacht auf die Haupt-Parameter runtergebrochen, dann würde man unter Tierwohl die Gesundheit und das Wohlbefinden verstehen. Unter Tierschutz würden dann alle Maßnahmen verstanden werden, die unternommen werden müssten, um diese beiden Haupt-Parameter zu sichern. Tiergerechtigkeit hingegen spiegelt den Grad an erreichtem Tierwohl wieder. Sprich wie gut diese beiden Parameter im Vergleich zum realisierbaren Niveau wieder. Dies ist im Hinblick auf die, im Vergleich zu einem Leben in freier Wildbahn, begrenzten Möglichkeiten in der Tierhaltung eine sensible Frage der Ethik. Erschwert wird die ohnehin enge Verpflechtung zwischen Tierwohl, Tiergerechtigkeit und Tierschutz, dass das englische Wort „welfare“ durchaus synonym für Wohlergehen, Tierwohl, Wohlbefinden und unter anderem auch Tiergerechtigkeit verwendet wird (vgl. Mondon et al. 2017: 13). Diese Besonderheit muss natürlich vor allem bei englischen Quelltexten berücksichtigt werden.

3 wissenschaftliche Forschungskonzepte

Die Wissenschaft ist sich einig, uneinig zu sein. Denn Tierwohl ist ein multifaktorielles Thema, das durch verschiedene Kriterien beeinflusst wird. In der Wissenschaft werden grundsätzlich drei Konzeptansätze nach Ducan und Fraser (1997) verfolgt:

  1. Tiergesundheit (biologische Funktionen des Tieres)
  2. Empfindungen (Anzeichen von negativen Emotionen)
  3. Auslebung artgerechter Verhaltensmuster (bspw. Erkundungstrieb und Nestbauverhalten bei Schweinen)

Die einzelne Konzepte lassen sich nicht klar voneinander trennen, vielmehr überschneiden sie sich in mehreren Punkten, da sich sich gegenseitig bedingen. Beispielsweise ist es wahrscheinlich, dass ein gesundes Tier weniger negative Emotionen zeigt, als ein krankes, oder eines welches sich nicht artspezifisch entfalten kann. Deshalb braucht es, um „Tierwohl“ greifbarer zu machen eine ganzheitliche Betrachtung dieser drei Konzepte.


Wann fühlt sich ein Tier wohl?

Die Frage nach der Messbarkeit von Tierwohl ist Thema verschiedener Forschungsprojekte und ein Thema für sich. Auch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) fördert derartige Projekte. (Zur Messbarkeit von Tierwohl folgt in näherer Zukunft ein separater Beitrag.)

Tierwohl und seine 5 Freiheiten

Häufig werden Haltungssysteme mit Hilfe der sogenannten „5 Freiheiten“ des unabhängigen Gremiums Farm Animal Welfare Committee (FAWC)* bewertet.

Freedom from hunger and thirst. Freedom from discomfort. Freedom from pain, injury or disease. Freedom to express normal behaviour. Freedom from fear and distress.

FAWC, 2009

*seit 1. Oktober 2019 Animal Welfare Committee (AWC)
Diese Grundsätzen erkennen Wissenschaftler, wie auch große Tierschutzorganisationen (z.B. World Society for the Protection of Animals (WSPA)) (vgl. Mondon et al. 2017: 12) an.


Kurz gefasst



Es gibt keine genaue Definition des Begriffs „Tierwohl“, selbst die Wissenschaft verfolgt verschiedene Ansätze. Stark vereinfacht kann Tierwohl auf die zwei elementaren Paramter Gesundheit und Wohlbefinden reduziert werden. In Wahrheit ist die Thematik jedoch sehr viel komplexer. Das Ausklügeln von Tierwohl-Indikatoren beschäftigt die Forschung bis heute. Eine gute Orientierung bieten die fünf Freiheiten der FAWC, die auch in der Einschätzung von Haltungssystemen berücksichtigt werden.

Kurz gefasst



Es gibt keine genaue Definition des Begriffs „Tierwohl“, selbst die Wissenschaft verfolgt verschiedene Ansätze. Stark vereinfacht kann Tierwohl auf die zwei elementaren Paramter Gesundheit und Wohlbefinden reduziert werden. In Wahrheit ist die Thematik jedoch sehr viel komplexer. Das Ausklügeln von Tierwohl-Indikatoren beschäftigt die Forschung bis heute. Eine gute Orientierung bieten die fünf Freiheiten der FAWC, die auch in der Einschätzung von Haltungssystemen berücksichtigt werden.


Literaturverzeichnis:

  • Art, 20a, Bundesgesetzblatt Teil III, Grundgesetz, 2014
  • Art. 13, Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen UnionMondon, Maiken / Thöne-Reineke,
  • Blokhuis H, Miele M, Veissier I, Jones B (2013): Improving Farm Animal Welfare. Science and Society working together: The Welfare Quality Approach. Wageningen Academic Publishers, Wagenigen, Niederlande.
  • Botreau R, Vessier I, Butterworth A, Bracke MBM, Keeling LJ (1007): Definition of Criteria for overall Assessment of Animal Welfare. Anim Welf 16:225-228.
  • Broom DM (2014): Sentience and Animal Welfare, CAB International, Wallingford, Großbritannien.
  • Mondon, Maiken / Thöne-Reineke Christa / Merle, Roswitha (2017): Tierwohl und Wohlbefinden – Definition, Bewertung und Diskussion mit Fokussierung auf die Milchkuh, in: Berliner und Münchener Tierärztliche Wochenschrift 2017, aop, S. 10-15, doi: 10.2376/0005-9366-16080.
  • Duncan IJH, Fraser D (1997): UNderstanding Animal Welfare. In: Appleby MC, Hughes BO (Hrsg.), Animal Welfare. CAB International, Wallingford, Großbritannien, 19-31.
  • FAWC (Farm Animal Welfare Council) (2009): Five Freedoms, in webarchive, [online] https://webarchive.nationalarchives.gov.uk/20121010012427/http://www.fawc.org.uk/freedoms.htm [18.12.2020]
  • Jäger C (2015): Tierschutzrecht. Eine Einführungs für die praktische Anwendung aus amtstierärztlicher Sicht. Boorberg, München, Deutschland
  • Knierim U (2001): Grundsätzliche ethologische Überlegungen zur Beurteilung der Tiergerechtigkeit bei Nutztieren. Dtsch Tierarztl WochenSchr 109:261-266.

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