Vom Sperma zum Kalb

Eine Kuh gibt Milch, weil sie zuvor ein Kalb ausgetragen hat. Aber wie kommt nun genau das Kalb in die Kuh? Wer in Sexualkunde aufgepasst und die Geschichte mit den Bienchen und Blümchen verstanden hat, der weiß, dass es für ein Kalb – wie bei den meisten Fortpflanzungsprozessen auch – einen Samenspender braucht. Dieser Samenspender läuft in der Rinderwelt unter dem Namen „Bulle“.

Ein Bulle für das ganze Dorf

Den „Gemeindebullen“ teilten sich alle Landwirte in einem Dorf und der näheren Umgebung.

Früher war es üblich, dass die Kühe zum Bullen gebracht wurden. Eine Landwirtsfamilie im Dorf besaß einen Zuchtbullen, der neben den eigenen Kühen auch die der Nachbarn gedeckt hat. Hierfür haben die Landwirte aus der Umgebung ihre Kühe zum besagten Zucht-Bullen getrieben und eine Decktaxe (10-20 DM) pro Kuhnase an den Besitzer des Bullen bezahlt. Meistens wurde jede Kuh einzeln zum Bullen gebracht. Manchmal kamen pro Tag zwei bis drei verschiedene Kühe zum Bullen.

Damals waren die Betriebe viel kleiner und ein Betrieb mit mehr als 10 Kühen galt schon als groß (Zum Vergleich: ein durchschnittlicher Betrieb in Schleswig-Holstein hat heute mehr als 100 Kühe.) Der Zucht-Bulle blieb solange auf dem Hof leben, bis seine ersten Töchtergeneration fruchtbar wurde – dann gab es nach etwa zwei Jahren einen neuen Zuchtbullen. So musste nicht jeder Betrieb einen eigenen Zuchtbullen halten, sondern teilte sich den „Gemeindebullen“. Links auf dem Bild siehst du einen Deutschen Shorthorn – Zuchtbullen, der auf diese Weise in den 1940er Jahren eingesetzt wurde.

Wie oft bekommt eine Kuh ein Kalb?

Wie oft eine Kuh in ihrem Leben besamt wird und abkalbt, hängt unter anderem von der Länge der sogenannten „Zwischenkalbezeit“ ab. Darunter versteht man die Zeit zwischen zwei Kalbungen. Die Dauer der Trächtigkeit ist mit etwa neun Monaten biologisch fixiert. Variabel und damit beeinflussbar ist dagegen die sogenannte Güstzeit (auch Serviceperiode genannt). In diese Zeit fallen alle Managementtätigkeiten, wie auch „besamen“ und „melken“. Die Zeit zwischen zwei Kalbungen lässt sich hauptsächlich über die „Melkperiode“, also die Zeit, in der die Kuh gemolken wird, steuern. Je länger eine Kuh „in Milch steht“ – im Durchschnitt sind das 305 Tage – desto später muss sie erneut besamt werden. 

Die Mehrheit der Milchkühe wird einmal pro Jahr besamt. Wie viele Kälber eine Kuh in ihrem Leben bekommt, hängt neben der Anzahl der Kälber pro Kalbung (Zwillinge oder Einzelkalb), auch von ihrer Nutzungsdauer ab. Je länger eine Kuh lebt, desto mehr Zeit hat sie potentiell abzukalben. Wie lange wird aber eine Milchkuh „genutzt“? Die Nutzungsdauer einer Milchkuh schwankt stark: Eine Erstkalbin, also eine Kuh, die das erste Mal in ihrem Leben abkalbt, kann durch eine schwere Geburt, oder in Folge einer Krankheit vorzeitig ausscheiden. Andersherum kann es aber auch zehnjährige Milchkühe aufwärts geben. Die durchschnittliche Nutzungsdauer einer Milchkuh liegt bei rund 4,7 Jahren. 

Der Status-quo

Mittlerweile wird die direkte Interaktion zwischen Bulle und Kuh immer weniger. Stattdessen kommt der Bulle in Form von einem Spermaröhrchen zur Kuh. Denn immer weniger Kühe haben einen Deckakt im herkömmlichen Sinne und werden stattdessen künstlich besamt. Anfang der 1950er Jahre wurde der Einsatz der von Tiefgefriersperma möglich und die „künstlichen Besamung“ (KB) hatte ihren Durchbruch. Der große Vorteil der künstlichen Besamung war die Sicherheit der Kühe vor sogenannten „Deckseuchen“. Denn der unsafe Sex mit dem „Gemeindebullen“ hat einen Haken – er erleichtert die Ausbreitung von infektiösen Krankheiten. Aber auch das Handling eines Spermaröhrchens ist für den Tierhalter weniger risikoreich, als das eines launischen Bullen. 

Warum profitiert die Zucht weltweit von KB?

Dadurch, dass aus einem Bullen mehr Spermaportionen gewonnen werden könnten, als im Natursprung, hat er die Chance vielfacher Tochterkuhvater zu werden und das weltweit. Der Austausch von Erbgut wird außerdem weltweit erleichtert, denn Spermaröhrchen lassen sich einfacher und schneller verschicken, als ein Bulle. Ein wertvoller deutscher Bulle, der gute Veranlagungen hat, hat dadurch ein weltweites Einsatzgebiet. Ergo können Kuhhalter*innen aus einem größeren Portfolio den passenden Bullen auswählen, als wenn sie auf einen regionalen Bullen angewiesen wären. Dadurch können „passgenauere“ Tiere miteinander verpaart werden und ein größerer züchterischer Fortschritt (Verbesserung in den Veranlagungen) erreicht werden. (Quasi wie weltweites Dating für Kühe mit höherer Match-Quote).

Werden Bio-Kühe künstlich besamt?

Hast du gewusst, dass auch Biobetriebe ihre Kühe künstlich besamen dürfen? Der Natursprung – also der natürliche Deckakt – ist nämlich nur eine Empfehlung der EU-Öko-Verordnung. Studien zu Folge besamen rund 80 bis 90 Prozent der Bio-Betriebe ihre Kühe künstlich (Forschungsinstitut für Biologischen Landbau FiBL).

Wie funktioniert die KB?

Aller Anfang ist schwer: Der Katalog-Bulle

Mittlerweile hat der Landwirt die Qual der Wahl, mit welchem Bullen er seine Milchviehherde oder Teile davon verpaaren möchte. Um einen potentiellen Partner für seine Kühe zu finden stöbert der Tierhalter in den Katalogen der Zucht- und Besamungsorganisationen und vergleicht verschiedene Bullen auf ihre Zuchtmerkmale. Das kann man sich an dieser Stelle wie einen Baukasten vorstellen. Einen Baukasten mit väterlichen und mütterlichen Bausteinen: Der Landwirt weiß wie seine weiblichen Rinder veranlagt sind (welche Bausteine sie ihren Kälbern mitgeben), weil er weiß mit welchen Bullen er die Herde bereits verpaart hat (Väter der nächsten Generation-Milchkühe). Nun hat er die Möglichkeit mit Wahl eines Bullen die Eigenschaften der nächsten Generation für seinen Betrieb zu optimieren. Er kann beispielsweise in den Katalog-Tabellen ablesen, welche Milchleistung und -inhaltsstoffe (Fett, Eiweiß) er von den Töchtern erwarten kann. Darüber hinaus beeinflusst der Bulle das Gerüst, sprich den Körperbau, seiner Töchter und die Ausprägung ihres Euters. 

Zum Beispiel gilt bei melkenden Kühen die sogenannte „Kastenform“ als optimale Euterform, weil sich das Euter dieser Kühe sehr gut gleichmäßig leermelken lässt – das unterstützt auch die Gesundheit der Tiere. Bei einigen Bullen findet sich der Hinweis „robotergeeignet“ – denn bei einem Melkroboter sind die Form des Euters und homogene Striche (Zitzen) besonders wichtig für einen „reibungslosen“, sprich störungsfreien Melkablauf. Hier hat der Landwirt beim Melken nämlich weniger Handhabung, um manuell auf besondere Euterformen einzugehen.

Aber zurück zum „Katalog-Dating“. Hat der Landwirt sich durch die Seiten des Kataloges gewälzt und einen passenden Bullen gefunden, der die Merkmale seiner Kuh „matcht“, dann ordert er nach Belieben Samenportion(en). Besamt werden die Kühe dann vor Ort auf dem Betrieb von einer geschulten Person (geregelt durch das Tierschutzgesetz vgl. TierZG §15 Verwendung des Samens): Das kann ein Besamungstechniker sein, dessen Hauptaufgabe es ist Kühe zu besamen, oder aber auch der Landwirt selbst, wenn er den Lehrgang zum Eigenbestandsbesamer erfolgreich abgeschlossen hat. Wichtig ist, dass ein Eigenbestandbesamer nur auf seinem eigenen Betrieb seinen eigenen Bestand von Milchkühen, oder auf dem Betrieb, auf dem er angestellt ist, besamen darf. Er darf also nicht „mal eben“ beim Nachbarn aushelfen, oder „willkürlich“ aktiv werden.

Wie lange dauert die Lieferung vom Sperma?

Anpaarungsberatung

Mittlerweile gibt es neben einer Anpaarungsberatung durch die Zuchtverbände auch verschiedene Anpaarungsprogramme, also Datenbanken-Tools, die den Landwirten die Qual der Wahl erleichtern sollen. Früher wurden die Zuchtbullen anhand ihrer Töchter gemessen, seit 2010 ist die genomische Selektion (Zuchtwertschätzung) praxisgängig. Mit ihr lässt sich der Zuchtwert (was so viel ist wie die Wirkung des Bullens auf ein angestrebtes Merkmal) über eine Analyse seines Genoms schätzen, dabei kann der Zuchtwert schon im Kälberalter geschätzt werden und damit lange vor der Geschlechtsreife und bevor Informationen über Töchter des Tieres bekannt sind. Letztere sind und bleiben aber die sicherste Form der Zuchtwertermittlung. Das genomische Schätzverfahren ist aber belastbarer, als die Ermittlung des Zuchtwertes aus Vater- und Muttertier (Pedigree-Index bzw. Abstammungs-Index). 

Gesextes Sperma

Möchte der Landwirt nichts dem Zufall überlassen, dann kann er sogar „gesextes Sperma“ einsetzen. Diese Spermadosis ist in rein-weiblich oder rein-männlich erhältlich und teurer als die gemischte Überraschungsportion.

Gesextes weibliches Sperma bietet sich für den Praktiker zum Beispiel an, wenn er eine besonders gut veranlagte Milchkuh hat, mit deren Töchter er seine Herde ergänzen möchte. Die weibliche Nachzucht, die er für die nächste Generation Milchkühe im Bestand behält, nennt sich „Remontierung“. Im Schnitt sollte die Remontierungsrate bei 25-30 % pro Jahr (Hilbk-Kortenbruck, 2019) liegen, das heißt 25-30 % der Milchkuhherde wird durch Jungkühe (Remonten) ausgetauscht bzw. aufgefüllt. Ein weiterer Vorteil von Sperma-Sexing ist, dass das Risiko für eine Schwergeburt bei Erstkalbinnen, also bei jungen Kühen, die das erste Mal in ihrem Leben kalben, wesentlich verringert werden kann, wenn sie mit weiblich gesextem Sperma besamt werden. Denn Bullenkälber sind in der Regel größer, als Kuhkälber und der Geburtskanal bei einer unerfahrenen Kuh noch nicht so geweitet, wie bei einer erfahrenen.

Wofür wird männliches Sperma gebraucht?

Auch, wenn nur weibliche Kühe Milch geben, wird auch männlich-gesextes Sperma angeboten. Warum lohnt sich das? Angenommen jede Kuh bekommt ein Kalb pro Jahr und nur circa 30 % der gesamten Kälber eines Jahres können auf dem Betrieb bleiben (Remontierung), dann gibt es auf diesem Betrieb einen nicht unerheblichen „Überschuss an Kälbern“. Diese Kälber werden von Kälbermästern nachgefragt und in der Regel nach dem 14. Lebenstag aufgekauft. Da aber Milchkühe, wie der Name schon sagt, primär auf die Eigenschaft Milch zu geben gezüchtet wurden, können sie bei weitem nicht mit der Mastleistung der Fleischrinderrassen mithalten. Ein praktikabler Ansatz ist daher Kühe mit dem männlich-gesextem Sperma eines Fleischrinderrasse-Bullens (bspw. Fleckvieh) zu besamen. Die Kreuzungskälber haben dadurch eine höhere Zunahme und eine bessere Mastleistung, wodurch der Landwirt einen höheren Preis für seine Kälber und der Mäster ein Produkt mit einer anderen Mastleistung bekommt, als ein herkömmliches schwarz-buntes Kalb hätte.

Weiterführende Links:
Genomische Selektion
https://www.landwirtschaft.de/landwirtschaft-verstehen/wie-funktioniert-landwirtschaft-heute/warum-werden-kuehe-kuenstlich-besamt

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