Warum sollten wir über Tierwohl reden?

Tierwohl, das ist ja alles gut und schön, aber was geht mich das an? Warum redet alle Welt drüber und warum ist Tierwohl ein emotionales Thema? Wer redet da überhaupt mit? In diesem Beitrag bekommst du einen Überblick, warum die Tierwohldebatte schwierig und vielschichtig ist.

Wer hat die Verantwortung für Tierwohl?

Die Frage nach einem „Schuldigen“ ist oft eine leidige. Im Rahmen einer Kurzumfrage auf Instagram habt ihr neulich abgestimmt. Die Mehrheit war der Meinung, dass „alle“ die Verantwortung für Tierwohl tragen. Das will heißen, dass die Gesellschaft inklusive Politik, Verbraucher, Schnittstellen und Produzenten an einem Tierwohl-Strang ziehen muss.

Nur wissen diejenigen, die sich aufmerksam mit der aktuellen Debatte auseinandersetzen und / oder die letzten Beiträge zum Tierwohl-Hintergrund gelesen haben, dass es noch keine einheitliche Definition zu diesem Thema gibt. Das macht die Situation nicht einfacher, da die Parteien mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Interpretationen kollidieren.

Massentierhaltung & andere Worthülsen

Nicht nur „Tierwohl“ ist eine Worthülle. Auch, hinter dem oft gebrauchten Wort „Massentierhaltung“ steht keine einheitliche belastbare Definition. Die Schwierigkeit dieser Worte ist, dass sie im Eifer des Gefechts, etwa in einer emotionalen Debatte zu „Worthülsen“ werden können. Denn allgemeingültige Definitionen sind gewissermaßen die Ausgangslage für einen Konsens, sprich eine Diskussion auf Augenhöhe mit Aussicht auf eine Einigung.

Bleiben wir bei diesem einschlägigen Beispiel:

Was ist Massentierhaltung?

Ist das eine Masse von Tier?
Fängt Massentierhaltung bei einem Bullen von stattlichen 1000 kg Lebendgewicht an?
Sind das mehr Tiere, als normal?
Hier schließt sich die Frage an, was denn überhaupt normal ist. Jeder empfindet eine Masse von Tier anders:
Wer betreibt Massentierhaltung?
Der Pferdezüchter mit über 80 Springpferden im Stall?
Der Katzenhalter mit 10 Vierbeinern?
Der Deichschäfer mit 3000 Schafen?
Der Milchviehbetrieb mit 200 Milchkühen?
Der Schweinemäster mit 2000 Mastplätzen?
Für jeden Menschen ist die kritische Zahl hier wohl je nach Berührungspunkt eine andere.

Was ist Massentierhaltung?

Ist das eine Masse von Tier?
Fängt Massentierhaltung bei einem Bullen von stattlichen 1000 kg Lebendgewicht an?
Sind das mehr Tiere, als normal?
Hier schließt sich die Frage an, was denn überhaupt normal ist. Jeder empfindet eine Masse von Tier anders:
Wer betreibt Massentierhaltung?
Der Pferdezüchter mit über 80 Springpferden im Stall?
Der Katzenhalter mit 10 Vierbeinern?
Der Deichschäfer mit 3000 Schafen?
Der Milchviehbetrieb mit 200 Milchkühen?
Der Schweinemäster mit 2000 Mastplätzen?
Für jeden Menschen ist die kritische Zahl hier wohl je nach Berührungspunkt eine andere.

Im Rahmen meines Studiums habe ich einen wissenschaftlichen Erklärungsversuch mit auf den Weg bekommen: Massentierhaltung fängt an, wenn das Haltungssystem sich nicht mehr an das Tier anpasst, sondern anders herum. Sprich das „verformbare“ Tier muss sich zu seinem Nachteil an das „starre“ Haltungssystem anpassen.

Massentierhaltung hat also nur bedingt etwas mit der Masse in kg und der Masse in Stückzahl zu tun, sondern steht und fällt wie Tierwohl vielmehr mit den Haltungsumständen. Und genau deshalb ist der Gebrauch von Wörtern mit relativ großem Interpretationsspielraum eigentlich suboptimal.

An vorderster Tierwohl-„Front“

Verfolgt man die Debatten, so kann man schnell den Eindruck bekommen, dass sich zwei unbewegliche Fronten gegenüberstehen. Statt einen Schritt aufeinander zuzugehen, scheinen sich die Seiten immer stärker voneinander zu entfernen und zu verhärten.

Die landwirtschaftlichen Tierhalter, die Angst vor Stalleinbrüchen haben, stehen den engagierten Tierschützern gegenüber, die Handlungsdrang verspüren. Dabei wollen beide Parteien eigentlich das gleiche: eine zukunftsfähige Landwirtschaft, ohne Tierquälerei und Umweltbelastung. In den Interviews, die ich vorab geführt habe und im laufenden Austausch, sowohl auf Instagram, als auch im Face to Face (mit Sicherheitsabstand) stand dieser Wunsch über allem.

Die Angst vor dem Schwarzen Peter

Ein großes Problem ist, dass sich aktuell vielmehr der schwarze Peter hinundher geschoben, als das nach tragbaren Lösungen gesucht wird. Kürzlich stieß ich im aktuellen Bauernblatt (Ausgabe vom 26.12.2020) auf einen Artikel über „Die fragwürdigen Geschäftspraktiken des Tierschutzbüros“ in der Mitte des Artikels war ein Abbild eines vermummten Mannes mit Kuhfuss (Brecheisen) in den Händen abgedruckt. In diesem Zusammenhang fiel das Panikwort für tierhaltende Landwirte „Stalleinbruch“.
Aber auch die Gegenseite, die mit geheimen Aufnahmen versucht Misstände aufzudecken, möchte eigentlich nur wahrgenommen werden. So bekommt man, als relativ unbeteiligte Person den Eindruck, dass es sich eigentlich um ein Kommunikationsproblem handelt. Aber die Angst auf beiden Seiten den Austausch täglich erschweren. Auch im Rahmen der Recherche und der Befragung aktiver Landwirte (konventionell, wie Bio) schwang bei der Mehrheit die Angst vor Rückverfolgbarkeit und dem öffentlichen Pranger mit. Wir befinden uns gewissermaßen in einer Pattsituation, die es Landwirten oftmals schwer macht sich zu öffnen und Verbrauchern nicht immer leicht macht an 1 : 1 Informationen aus der Praxis zu kommen.

Gut zu wissen

Generell ist es so, dass es sich rechtlich bei einem Stalleinbruch um eine Straftat handelt. Die Verbreitung von Bild- und Videomaterial, welches bei einem Stalleinbruch aufgenommen wurde, ist bedingt legal. Genauere Informationen findest du hier. Ein Problem – neben der Rechtsfrage – ist aber ein anderes: Ställe haben ihr eigenes Mikroklima. Auf landwirtschaftlichen Betrieben ist der Begriff „Hygienekonzept“ schon weit vor Corona etabliert. Problematisch ist hier vor allem die Einschleppung von Krankheiten durch Vektoren (Überträger). Unbelebte Vektoren können unter anderem Kleidungen und Schuhsohlen sein. Belebte Vektoren sind beispielsweise andere Tiere und auch Menschen. So duscht ein Landwirt, der Schweine hält, täglich in und aus seinem Stall. Das heißt er wechselt seine Kleidung und duscht in seinem separaten Raum, der dem Schweinestall vorgeschaltet ist. Diese Schleuse sorgt dafür, dass der Landwirt seine Tiere nicht mit Keimen belastet und im schlimmsten Fall ernsthaft krank macht. Kommen betriebsfremde Personen auf einem viehhaltenden Betrieb gelten häufig verschärfte Maßnahmen. Bei Kontrolleuren, die mehrere Betriebe anfahren, und vor allem im Seuchenfall gelten verschärfte Maßnahmen, wie Ganzkörperanzüge und Überzüge für optisch saubere Gummistiefel. Stalleinbrüche können daher auch ein erhebliches Gesundheitsrisiko für Tierbestände darstellen; ganz besonders, wenn bei einer Aktion mehrere Ställe aufgesucht werden.

Tierwohl – wer zahlt das?

Geld regiert die Welt, heißt es immer wieder. Bestimmt Geld auch das Ausmaß von Tierwohl?
Fakt ist „ohne Moos nichts los“, sprich wenn dem Produzenten die Mittel fehlen seine Tiere komfortabler zu betten, ihnen mehr Spielzeug zu kaufen, oder andere lebensverschönernde Maßnahmen zu ergreifen, dann ist es wahrscheinlicher, dass solche „Tierwohl“-Maßnahmen nicht, oder nur begrenzt umgesetzt werden.

Ein Geldesel als Retter fürs Tierwohl

Aus Kindertagen kenne ich den Schnack „Ich wünsche mir einen Geldesel“, wenn ich einen kostspieligen Wunsch hegte. Nur könnt ihr euch sicher denken, dass dieser bis heute nicht aufgekreuzt ist.

Stattdessen müssen Maßnahmen, wie Tierwohl, von irgendwem getragen werden. Geld schafft Anreize und Sicherheiten, denn ein Landwirt braucht Planungssicherheiten, wenn er eine langfristige Investition tätigen will. Eine langfristige Investition wäre beispielsweise der Bau eines Tierwohl-Stalls. Bei so einem Bau schwingen mehrere Risiken mit: Erst einmal gewährleistet ihm niemand, dass sich nicht in ein paar Jahren andere Tierwohl-Erkenntnisse auftun, die den Tierwohl-Status seines tagesaktuellen Bauobjekts nach untenkorrigieren oder gar entwerten. Und darüber hinaus gewährt ihm keiner die Garantie für stabile Preise und einen permanenten Absatz.

Die Investitionen von Landwirten sind eng mit der Kaufkraft und der Kaufentscheidung an der Ladentheke gekoppelt. Entscheidet sich der Verbraucher dort für argentinisches Vorzeigefleisch (das den Großteil seines Lebens nicht auf der Weide, sondern im Feedlot verbringt), plädiert aber gleichzeitig auf Tierwohl und Weidehaltung für die heimischen Rinder, dann besteht kein Markt für diese Rinder. Die heimische Weidehaltung bleibt trotz des Wunsches der Verbraucher für den Landwirten ein zu teures Unterfangen, so dass er die Tierhaltung entweder aufgibt oder die Tiere aus betriebswirtschaftlicher Sicht günstiger hält (bspw.: intensive Stallmast statt extensive Weidemast).

Der Preis macht die Musik, oder am Ende des Tages auch das Tierwohl. Die Schwierigkeit liegt also darin Tierwohlprodukte für Verbraucher preislich konkurrenzfähig und attraktiv gegenüber Dumpingpreisen aus In- und Ausland zu machen und auf der anderen Seite für die Praxis produzierbar zu machen.

Was haben Busfahrer mit glücklichen Schweinen zu tun?

Na, neugierig? Zwei Agrarwisschenschaftler aus Kiel haben in ihrer agrarpolitischen Studie herausgefunden, dass die Quelle vom Tierwohlgeld, also dem Geld, mit dem Tierwohlmaßnahmen finanziert werden, eine entscheidende Rolle für die Akzeptanz in der Gesellschaft spielt. Allgemein wären die Befragten bereitwilliger einen höheren Preis an der Ladentheke zu bezahlen, wenn sie dafür nicht auf Bildung, öffentliche Verkehrsmittel oder Sicherheit verzichten müssten. Dieser Ansatz basiert auf sogenannten „Opportunitätskosten“. Unter diesem Kostenbegriff werden keine realen Kosten verstanden, sondern vielmehr indirekte. Ich entscheide mich für eine Option und schließe damit damit eine andere aus. Frei nach dem Motto, das schon Omas lehren: „Man kann nicht alles haben.“ Den Mehrwert (in Geldeinheiten, oder aber auch Glückseinheiten usw.), den die ausgeschlossene Option gebracht hätte sind genau diese Opportunitätskosten.

In der nicht-respräsentativen Studie, in der ausschließlich Angehörige der CAU befragt wurden, wurden die öffentlichen Güter Sicherheit, Bildung und öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) wie Opportunitätskosten gegenüber Mehr-Tierwohl behandelt. Da Sicherheit und Bildung verglichen mit ÖPNV einen höheren Stellenwert für die Befragten hatten, wurde die Bereitschaft für die Unterstützung von höheren Tierwohlstandards auf die „Opferbereitschaft“ von ÖPNV -Flexibilität in Form von Busfahrerstellenabbau und Haltestelleneinsparungen ausgedrückt. Busfahrer im Tausch gegen glückliche Schweine also. Hypothetisch kämen so überschlagen bis zu 250 Millionen Euro für mehr Tierwohl zusammen (vgl. Grunenberg / Henning 2019 : 147).

Darüber hinaus ergab die Studie, dass die befragten Verbraucher vor allem bereit waren mehr Geld für tierische Erzeugnisse zu zahlen, wenn den Tieren ein besseres Stallklima geboten wurde, gefolgt von einem größeren Platzangebot. Die Zahlungsbereitschaft für Tierwohlmaßnahmen wie Beschäftigungsmöglichkeiten (bspw. Stroh für Schweine, um ihr natürliches Verhalten zu unterstützen) war bedeutend geringer. Interessant ist auch, dass Frauen eine höhere Zahlungsbereitschaft aufwiesen, als Männer (vgl. Grunenberg / Henning 2019 : 147).

st(e)akeholder

Bezogen auf tierische Produkte, unter die auch das gut bekannte „Steak“ fällt, spielen sogenannte stakeholder eine besonders wichtige Rolle. Zu diesem Ergebnis kam eine weitere agrarwissenschaftliche Studie, die sich mit dem Einfluss von Expertenwissen auf die Meinung von stakeholdern beschäftigte.

stakeholder sind Personen, oder Interessengruppen, die Erwartungen an Unternehmen oder Politikfeld haben.
steakholder gibt es natürlich nicht wirklich
(bzw. wäre an dieser Stelle mein Vorschlag für ein Gabel-Synonym).

Die Studie bestätigte, dass Kommunikation die Schlüsselgröße in der Nutztier- und Tierwohlpolitik ist, sofern eine Einigung möglich ist. Eine Schwierigkeit dieses Konsens liegt unteranderem darin, dass der Produktionssektor, der den größten Einfluss auf die Fleischindustrie und den Lebensmittelhandel hat, sich hauptsächlich auf internes Wissen verlässt (zu 85 %). Ähnliches gilt für Tierschutzorganisationen. Besonders problematisch ist das Interessengeflecht aber, wenn einflussreiche stakeholder falsche Vorstellungen über politische Technologie haben. In diesem Fall könnten umgesetzte Politiken im worst case an Effizienz einbüßen (vgl. Grunenberg / Henning 2020 : 38).

Info: Unter einer politischen Technologie wird der Zusammenhang einer Politik (bspw. einer, die ein großzügigeres Platz-Tier-Verhältnis vorschreibt) und der durch sie erreichten Wirkung, wie beispielsweise den Effekt auf das Tierwohl, verstanden.


Kurz gesagt

Es besteht ein ernomes Kommunikationspotential im Bezug auf das Modewort „Tierwohl“, welches ebenso genug emotionale „Angriffsfläche“ bietet. Das Thema ist vielschichtig und tangiert die vielfältigsten Interessengruppen. Am Ende des Tages ist Tierwohl auch eine Kostenfrage, die nicht schon lange nicht mehr nur vom Produzenten getragen werden kann. Für einen Konsens im Sinne des Verbraucher- Umwelt- und Tierschutz ist es unabdinglich eine gesunde Kommunikationsstrategie zwischen den Interessengruppen zu etablieren, frei von Vorurteilen, denn gewissermaßen sitzen wir alle im selben Boot.

Kurz gesagt

Es besteht ein ernomes Kommunikationspotential im Bezug auf das Modewort „Tierwohl“, welches ebenso genug emotionale „Angriffsfläche“ bietet. Das Thema ist vielschichtig und tangiert die vielfältigsten Interessengruppen. Am Ende des Tages ist Tierwohl auch eine Kostenfrage, die nicht schon lange nicht mehr nur vom Produzenten getragen werden kann. Für einen Konsens im Sinne des Verbraucher- Umwelt- und Tierschutz ist es unabdinglich eine gesunde Kommunikationsstrategie zwischen den Interessengruppen zu etablieren, frei von Vorurteilen, denn gewissermaßen sitzen wir alle im selben Boot.

Literatur:

Dr. Scheuerl, Walter (2018) Medienrecht: Bundesgerichtshof zu Stalleinbrüchen aus der Tierschutz-Szene, in: Graf von Westphalen [online] https://www.gvw.com/aktuelles/newsletter/gvw-newsletter/mai-2018/medienrecht-bundesgerichtshof-zu-stalleinbruechen-aus-der-tierschutz-szene.html [31.12.2020].

Dr. Schmitt, Lennart (2020): Die fragwürdigen Geschäftspraktiken des Tierschutzbüros, in: Bauernblatt, Schleswig-Holstein,Jg. 2020, Nr. 51, S.22 f.

Grunenberg, Michael / Henning, Christian (2019) About bus drivers and happy pigs: collective and pirvate willingness to pay for animal welfare , in: Visionen für Agrar- und Ernährungspolitik nach 2020; Schriften der Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften des Landbaues e.V., Jg. 2019, Band 54, S.139-161.

Grunenberg, Michael / Henning, Christian (2020) Belief formation in german farm animal politics: an illustrative example from a stakeholder network survey, in: Landwirtschaft und ländliche Räume im gesellschaftlichen Wandel; Schriften der Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften des Landbaus e.V., Jg. 2020, Band 55 2020, S. 29-51.

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