Vielleicht hast du schon mal von kupierten Ringelschwänzen gehört? Und möglicherweise weißt du auch, dass einige Ferkel eine Zahnbehandlung bekommen. Doch welchen Zweck haben diese „Eingriffe am Tier“, die vielfach mit „Tierquälerei“ gleichgesetzt werden? Und was genau hat das Tierwohl damit zu tun?
Einzelfall Schwein?
Erst einmal vorweg: Der Mensch greift nicht „nur“ beim Schwein ein. Trotzdem steht vor allem die Schweinehaltung häufig in der Kritik.
Bevor wir starten ein paar Beispiele ähnlicher Eingriffe:
- kupieren von Lämmerschwänzen in den ersten Lebenstagen mit einem Gummiring (in der konventionellen Schafhaltung)
- Die Markierung von reinrassigen Pferden mit einem Schenkel-Brandzeichen (traditioneller „Fohlenbrand“) war bis Januar 2019 ohne Betäubung möglich und gängig. Heute ist der Fohlenbrand nur noch unter Betäubung erlaubt und Fohlen werden i.d.R. gechipt.
Ist das überhaupt erlaubt?
Im Paragraph 1 des Tierschutzgesetzes (TierSchG) heißt es:
„[ …] Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zu fügen.“
Alle Eingriffe an Tieren sind durch das TierSchG geregelt, genauer den Paragraphen 6:
Verboten ist das vollständige oder teilweise Amputieren von Körperteilen oder das vollständige oder teilweise Entnehmen oder Zerstören von Organen oder Geweben eines Wirbeltieres. [ …]
Absatz 1 § 6 TierSchG
Vielleicht denkst du, dass das jetzt eine „eindeutige Kiste“ ist. Aber wenn du den Gesetzes-Auszug noch einmal aufmerksam liest, wird dir auffallen, dass er ohne Ausnahmeregelungen nicht praktikabel wäre. Denn würde er nur für sich stehen, dann würden sich beispielsweise Tierärzte tagtäglich strafbar machen: Eine Operation ohne Schnitt und damit „Zerstörung von Gewebe“ wäre unmöglich!
Deshalb legt Paragraph 6 genau fest, welche Eingriffe am Tier im Einklang mit Tiergesundheit, Tierwohl und im Rahmen der Haltung (Landwirtschaft, wie Privathaushalt und auch Forschungseinrichtung) unter bestimmten Bedingungen tragbar sind.
Geregelt sind unter anderem folgende Eingriffe:
- Enthornen von Rindern
- Kupieren von Schwänzen (Hund, Schwein, Schaf, Rind)
- Kürzen von Schnäbeln bei Geflügel
- Eckzähneschleifen beim Schwein
- Kastration
Für die meisten dieser Eingriffe ist eine Sondergenehmigung durch den zuständigen Tierarzt nötig. So soll verhindert werden, dass diese Eingriffe routinemäßig durchgeführt werden. Hierzu zählen beispielsweise das „Kupieren von Schwänzen“, „Eckzähneschleifen“ und „Schnabelkürzen“. Schätzungen zu Folge werden über 95 % der in Deutschland gehaltenen Mastschweine kupiert (vgl. EU-Audit Report 2018 : 6). Warum gibt es dieses beinahe „flächendeckende Kupieren“ trotz der geltenden Einschränkungen?
Was „bringen“ Stummelschwänze?
Kupierte Schweineschwänze sind ein heikles Thema und immer wieder verstärkt in der Kritik. Doch welchen Sinn haben kurze Schwänze, wenn Mutter Natur dem Schwein lange Ringelschwänze gegeben hat? Der Hauptgrund zum Einkürzen der Schweineschwänze ist das „Schwanzbeißen“. Darunter wird eine Verhaltensstörung verstanden, bei der sich die Schweine untereinander die Schwänze an- und abfressen. Was wie ein „harmloses Knabbern“ beginnt kann schwere Folgen für die Tiergesundheit haben, die von Infektionen, über Kümmern (Schwächeln) bis hin zum Tod des Tieres reichen können.
Auch, wenn beim Phänomen „Schwanzbeißen“ viele unterschiedliche Faktoren, wie Rasse, Fütterung, Beschäftigungsmöglichkeiten und Haltungsmanagement (bspw. Besatzdichte, Klima) zusammenkommen, gilt der lange Schwanz häufig, als DIE Stellschraube. Und da auch die Wissenschaft bislang noch kein Patentrezept für die Problematik hat, werden in der landwirtschaftlichen Praxis noch viele Schweineschwänze kupiert. Schätzungen zu Folge können kupierte Schwänze das Verletzungsrisiko um 19 bis 89 % (vgl. EU-Audit Report 2018 : 6) herabsetzen.
Ursache des Schwanzbeißens: Wissenschaftliche Ansätze
Die Wissenschaft unterscheidet drei Formen des Schwanzbeißens (Taylor et al., 2009):
- „zweistufiges“ Beißen, in Folge von fehlgeleitetem Erkundungsverhalten, sprich das Schwein beißt in erster Instanz „irrtümlich“ in den Schwanz eines anderen (häufigste Form des Schwanzbeißens)
- „plötzliches und gewaltsames“ Beißen als Verteidigungsstrategie von Ressourcen (Stichwort: Futterneid)
- „zwanghaftes“ Schwanzbeißen, als Verhaltensstörung
Wie kann Schwanzbeißen entgegengewirkt werden?
Schwanzbeißen tritt sowohl indoor, als auch outdoor auf und ist somit nicht nur ein Problem in der konventionellen Schweinehaltung. Wichtig für die Prävention und eine schnelle Reaktion / Eindämmung ist vor allem die intensive Tierbeobachtung. Lässt ein Schwein den Ringelschwanz (ungekürzt) hängen, oder wedelt mit dem Schwanz, ist besondere Vorsicht geboten. Im Optimalfall ist der Schwanz überwiegend geringelt und signalisiert Wohlbefinden. Auch andere Verletzungen zum Beispiel an den Ohren können ein Anzeichen für Kannibalismus-Probleme sein.
Um aggressivem Verhalten, Unruhe und Kämpfen entgegenzuwirken, ist eine wirksame Sofortmaßnahme beispielsweise das Angebot von abwechslungsreichen Materialien, wie Stroh, Heu und Silage. Vielfach wird empfohlen einen „Notfallkoffer“ mit Beschäftigungsmaterial für die Soforthilfe bereitzuhalten. Andere Maßnahmen habe ich dir hier einmal übersichtlich zusammengefasst:
Wissen zum Klugscheißen: Wusstest du, dass einige Tiere auch mit einem verkürzten Schwanz zur Welt kommen können? Diesen „Defekt“ nennt man in Fachkreisen „Brachyurie“.
Aktionsplan: Schwänzekupieren
Im Rahmen des EU-Audit (2018) wurde ein Aktionsplan zum Kupierverzicht verabschiedet, der im kommenden Sommer (2021) durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) ausgewertet wird. Entworfen wurde der Aktionsplan von der Arbeitsgruppe Tierschutz (AGT), der Ländergemeinschaft Verbraucherschutz (LAV) und von der Amtschefkonferenz der Staatssekretärinnen und Staatssekretäre von Bund und Ländern im Januar 2018 (vgl. EU-Audit Report 2018 : 7).
Das Ziel des Aktionsplan ist das Ende der routinemäßigen Schwänzekupierens. Auf der Internetseite www.ringelschwanz.info findest du eine Übersicht der Informationsveranstaltungen für Landwirte und alle Dokumente im Zusammenhang mit dem Kupierverzicht.
Betriebe können VORERST weiterhin kupieren, sofern sie eine betriebsindividuelle Risikoanalyse durchgeführt haben und das Ausmaß an Verletzungen dokumentieren. Die Alternative ist der „Einstieg in den Kupierverzicht“ (für Betriebe ab einem Schwellenwert von < 2 % Verletzungen) . Schrittweise wird gestaffelt mit einer kleinen unkupierten Tiergruppe gestartet. Bei dieser Variante werden auch die erhobenen Verletzungen mit denen der „unkupierten Bestandstiere“ verglichen.
Bei beiden Varianten werden, sofern die Tiere noch nicht zu 100 % unkupiert und unverletzt sind mit dem Tierarzt und / oder dem Berater geeignete Optimierungsmaßnahmen entwickelt. Im Anschluss muss der Tierhalter einen „Tierhalter-Erklärung“ ausfüllen (1 Jahr gültig), die darlegt, warum der Tierbestand nicht zu 100% unkupiert ist. Kontrolliert und überprüft werden die Dokumente durch die zuständige Tierschutzbehörde. Sofern in einem Betrieb über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren anhaltend Schwanzbeißen auftritt, ist ein schriftlicher Plan zur Risikoverminderung auszuarbeiten und weitere ordnungsbehördliche Konsequenzen durch die zuständige Behörde abzuklären.
Ablauf Schwanzkupierens
Bleibt die Schwanzbeiß-Problematik trotz umgesetzter Maßnahmen bestehen und gibt es grünes Licht vom zuständigen Tierarzt, dann darf der Landwirt Ferkel bis zu einem Alter von vier Tagen betäubungslos kupieren (vgl. § 5 TierSchG Absatz 3).
Damit du dir den Ablauf des Schwanzkupierens besser vorstellen kannst, war ich einmal selbst live dabei und habe dir Bilder mitgebracht:
Tierschutzorganisationen, wie PROVIEH e.V. sehen in dem Aktionsplan jedoch keinen wirklichen Schritt in Richtung „Kupierverzicht“.
Nach unserer aktuellen Einschätzung wird das Schwänzekupieren weiterhin routinemäßig vorgenommen, obwohl es seit 1994 verboten ist. Der Aktionsplan hat u. E. noch keine systematische Verbesserung für die Unversehrtheit der Tiere erreicht.
PROVIEH e.V., März 2021
PROVIEH e.V. setzt sich seit Jahren für einen flächendeckenden Kupierverzicht ein und versuchte unter anderem eine sogenannte „Ringelschwanzprämie“ in die Initiative Tierwohl einfließen zu lassen.
Warum bekommt das Ferkel eine Zahnbehandlung?
Du wisst sicher wissen, dass der wilde Verwandte des Hausschweins – das Wildschwein – gefährlich scharfe Zähne hat. In Jägersprache heißen die Eckzähne des Wildschweinkeilers nicht umsonst „Waffen“. Aber auch Bachen, also weibliche Wildschweine haben sogenannte „Bachenharken“, die nicht zu unterschätzen sind.
Es gibt viele Unfälle in Jägerkreisen, die tödlich enden, denn die Eckzähne sind so scharf, dass sie butterweich durch Fleisch schneiden. Warum nun dieser Exkurs? Auch einige Hausschweine haben sehr scharfe und spitze Eckzähne und können ihre Artgenossen (Wurfgeschwister, oder ihre Muttersau) ernsthaft verletzen. Sofern ein ernsthaftes Verletzungsrisiko für die Muttersau, oder die anderen Ferkel des Wurfs von einem Ferkel mit scharfen Eckzähnen ausgeht, dürfen die Eckzähne unter Berücksichtigung des TierSchG § 5, Abs. 3 abgeschliffen werden. Für das Abschleifen der Zähne bis zu einem Alter von 8 Tagen müssen die Ferkel nicht betäubt werden.
Damit du dir den „Zahnarzttermin“ der Ferkel besser vorstellen kannst, war ich einmal selbst live dabei und habe dir Bilder mitgebracht. In diesem Betrieb werden die Zähne vor allem dann abgeschliffen, wenn Ferkel zu einer sogenannten Ammensau umgesetzt werden. Bei diesem System bekommen die Ferkel Milchaustauscher und können parallel bei einer Adoptiv-Muttersau Milch säugen. Da sich die Saugordnung bei dieser Ferkelhorde nicht problemlos einstellt, besteht erhöhtes Verletzungsgefahr. Die häufigsten Verletzungen entstehen unter den Ferkeln bei der Konkurrenz an der Milchleiste (dem Gesäuge der Muttersau) – die ersten Bilder der Diashow zeigen dir einige dieser Verletzungen. In extremen Fällen können sich die Ferkel unter anderem gegenseitig die Schädeldecke öffnen :
Kastration
Auch eine Kastration ist ein Eingriff, mehr dazu findest du hier.
Du hast Fragen, Anmerkungen, Verbesserungen? Dann melde dich bei mir, oder in den Kommentaren zu Wort 🙂
Literatur:
Hintergrundinfos und Aktionsplan: www.ringelschwanz.info
Bundesministerium der Justiz und Verbraucherschutz (2020): Tierschutzgesetz, [online] https://www.gesetze-im-internet.de/tierschg/BJNR012770972.html [abgerufen am 08.03.2021].
Europäische Kommission (2018): „Bewertung der Massnahmen der Mitgliedstaaten zur Verhütung von Schwanzbeißen und zur Vermeidung des routinemässigen Kupierens von Schwänzen bei Schweinen, in Bericht über ein Audit in Deutschland 12. bis 21. Februar 2018, [online]https://ec.europa.eu/food/audits-analysis/audit_reports/details.cfm?rep_id=xxx&rep_inspection_ref=2018-6445 [abgerufen am 08.03.2021].
Niedersächsisches Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (2016): Tierschutzplan Niedersachsen – Facharbeitsgruppe Schwein, in: Ratgeber zur Reduzierung des Risikos für Schwanzbeißen bei Schweinen, Version 1.0, [online] https://www.ml.niedersachsen.de/startseite/themen/tiergesundheit_tierschutz/tierschutzplan_niedersachsen_2011_2018/schweine/schweine-110872.html [abgerufen am 08.03.2021].
Taylor, N.R.; Main, D.C.J.; Mendl, M.; Edwards, S.A. (2009): Tail-biting: A new perspective. The Vet. J.
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