Der Weg zum Kalb: Wie läuft eine Besamung ab?

Vor der KB

Zunächst muss der Tierhalter die Brunft seiner Kühe erkennen, dafür stehen ihm verschiedene Hilfsmittel zur Verfügung. Eine bullende, sprich brünstige, Kuh wird unruhig – sie bespringt andere Kühe. Das nennt man den sogenannten „Torbogenreflex“ – denn von hinten sehen alle Rinder – männlich, wie weiblich – auf den ersten Blick gleich aus. Der Tierhalter kann die Aktivität seiner Kühe von Hilfsmitteln wie Kameratechnik, Aktivitätsmessern und Sprays, oder Klebestreifen einschätzen.

Kameras im Milchviehstall werden aktuell vor allem in der Abkalbebox eingesetzt, können aber auch ein Hilfsmittel für die Brunsterkennung sein – das hat ein bisschen was von „Big Brother is watching you“. Eine erschwinglichere und gängigere Maßnahme ist das sogenannte „Pedometer“, das ist eine Art kuhindividueller „Fitnesstracker“, den die Kuh entweder ums Fußgelenk oder am Halsband trägt. Er erstellt ein Aktivitätsprofil für jede Kuh, anhand dessen die Brunst gut abgelesen werden kann. Während die Kuh aktiver während der Brunst wird, kaut sie weniger wieder – daher könnte die bevorstehende Brunst auch mittels einer Überwachung der Wiederkaufrequenz bemerkt werden. Hierfür gibt es entsprechende Tracker, die an einem Halfter oder direkt am Halsband angebracht werden können.

Wie bei Sauen im Deckzentrum lässt sich auch in der Milchviehherde ein Suchbulle einsetzen, der die brünstigen Kühe ausfindig macht. Weitere Möglichkeiten wären Hormontests (Progesteron) und die Applikation von farbigen Pflastern oder Sprayfarbe auf der Schwanzwurzel. Letztere werden vor allem in Ländern wie Neuseeland verwendet. Hier bekommt jede Kuh ein Pflaster auf das obere Ende des Schwanzes (Schwanzansatz) geklebt, oder wird an gleicher Stelle farbig angemalt – reitet nun eine andere Kuh auf, rubbelt bzw. scheuert sie über die Farbe, oder das Pflaster. So wird die Farbe abgetragen und visualisiert dem Landwirt, dass die Kuh bereit für die Paarung ist. (Auch das Pflaster nutzt durch das Bespringen ab.)

Wie sieht Kuh-Brunst aus? 

Eine hochbrünstige Kuh lässt sich von anderen Kühen bespringen, hat angeschwollenen Schamlippen mit rosa, glatter und glänzender Schleimhaut und sondert Brunstschleim ab. 

Aufs richtige Timing kommt es an

Neben der Brunsterkennung ist auch der Zeitpunkt der Besamung für einen Besamungserfolg entscheidend. Äußert eine Kuh in den Morgenstunden Brunstsymptome, dann sollte sie noch am selben Tag nachmittags oder in den frühen Abendstunden besamt werden. Zeigt sie abends Brunstsymptome, dann sollte sie am nächsten Morgen besamt werden. Im Optimalfall liegen zwischen dem Auftreten der ersten Brunstsymptome und der ersten Besamung 12 bis 18 Stunden.

Aber warum wird eine brünstige Kuh nicht sofort besamt?

Wusstest du, dass die Spermien in der Kuh noch etwa sechs Stunden brauchen, um nachzureifen? Die Reifephase startet, sobald die Spermien in den Kontakt mit dem Gebärmuttersekret der Kuh kommen. Auch, wenn die Spermien theoretisch 18 bis 24 Stunden befruchtungsfähig sind, ist ihre Überlebensrate sechs bis 18 Stunden nach der Besamung am höchsten. Befruchtet wird die Eizelle, wie bei uns Menschen, im Eileiter. Da die Eizelle nach dem Sprung (etwa 8 bis 12 Stunden nach dem Abklingen der äußeren Brunstsymptome) nur etwa sechs Stunden befruchtungsfähig ist, müssen Spermien und Eizelle unbedingt zur gleichen Zeit am gleichen Ort sein. Wird zu früh besamt, dann verlieren die Spermien an Befruchtungsleistung ehe die Eizelle springt. Während bei einer zu späten Besamung die Eizelle schon unfruchtbar sein kann.

Übrigens: Für gewöhnlich muss eine Kuh 1,5 – 2 mal besamt werden, bis sie trächtig ist.

Ablauf künstliche Besamung – einhändig gibt’s nicht!

Für gewöhnlich wird die Kuh im Selbstfang-Fressgitter fixiert, damit sie ruhig stehen bleibt und werde sich selbst, noch den Besamer verletzt. Vor der Besamung wird der Kuh über den Rücken gestrichen. Es ist wichtig, dass sie keinen Stress während der Besamung empfindet, weil die Ausschüttung von Adrenalin der Besamung entgegenwirkt. In der Regel braucht es für die Besamung einer Kuh eine zweite Person (oder ein Hilfsmittel, wie ein Band), die den Schwanz der Kuh vorsichtig beiseite hält. Eine brünstige Kuh hebt den Schwanz leicht ab und schiebt ihn beiseite. Bevor die Besamung startet, werden die Schamlippen der Kuh mit trockenen Papiertüchern gesäubert, damit wird verhindert, dass Schmutz in den Gebärmutterkanal eingetragen wird. Das Tiefgefriersperma wird in einem ca. 38 °C warmen Wasserbad für 25-30 Sekunden aufgetaut. Auch das Besamungsgerät sollte körperwarm sein und muss bei kühlen Außentemperaturen unter Umständen erwärmt werden. 

Der Besamer spreizt nun vorsichtig die Schamlippen der Kuh und führt das Besamungsinstrument ein. Anschließend führt er seine behandschuhte Hand (eingeschmiert mit Gleitgel) in den Anus der Kuh ein. Vielleicht wunderst du dich jetzt. Wie soll eine Kuh über den Hintern schwanger werden? Gut aufgepasst! Der rektale Griff in die Kuh dient dem Besamer, um den Gebärmutterhalskanal zu fixieren. Zunächst muss er sich dafür den Weg „freiräumen“, indem er den Stuhlgang der Kuh langsam in kleinen Portionen zum Ausgang schiebt und so gleichzeitig Platz für seinen Arm schafft. Dann umgreift er den Gebärmutterhalskanal, ohne diesen „Fixationsgriff“ wäre die Besamung nicht möglich, da die Zervix der Kuh massive Querfalten hat (sie ist also kein gerader Kanal, sondern vielmehr ein Labyrinth). Für die Besamung einer Kuh braucht es daher Fingerspitzengefühl – denn die Besamungspipette muss vorsichtig und doch treffsicher durch die Falten in den von der „Anus-Hand“ nach vorne gestreckten Gebärmutterhalskanal eingeführt werden.

Ablauf Natursprung

Lässt man der Natur ihren Lauf, dann begattet der Bulle die Kuh von selbst, wenn sie bullt. Hierfür reitet der Bulle von hinten auf der Kuh auf und legt seine Vorderbeine seitlich auf ihrem Rücken ab. Der Penis des Bullen dringt in die Scheide der Kuh ein – ein Akt von wenigen Minuten.

Anders als bei der künstlichen Besamung legt der Bulle sein Sperma nicht im Gebärmutterhalskanal, sondern direkt in der Scheide ab. Der Weg der Spermien in den Eileiter (Ort der Befruchtung) ist auf natürlichem Wege also länger.

Wie wird die Trächtigkeit kontrolliert?

Mit dem Ultraschall kann der Tierarzt frühestens nach 28 Tagen feststellen, ob die Kuh tragend ist, rektal (also über den Anus) ab der 6. Woche. Treten bei einer Kuh nach der Besamung wieder typische Brunstsymptome auf, kann der Tierarzt die Eierstöcke der Kuh vorsichtig abtasten und kontrollieren, ob sie ein Kalb erwartet, oder erneut besamt / besprungen werden muss.

Hausverbot – kein Bulle mehr im Laufstall? 

Auf einigen Milchvieh-Betrieben war es trotz KB-Einsatz üblich einen Bullen im Laufstall direkt zwischen den Kühen laufen zu haben, der die durch KB nicht-trächtig-gewordenen Kühe, „manuell“ nachbesamt hat. Mit der neuen Unfallverhütungsvorschrift vom 1. April 2021 (vgl. VSG 4.1) ist der Deckbulle im Laufstall nur noch in einer Einzelbox erlaubt. Dort muss der Bulle separiert oder fixiert werden können. Grund für diese Novelle ist das höhere Unfallrisiko, das ein mitlaufender Bulle erzeugt. Zwar hat der Bulle im Stall der Kühe, die gemolken werden Hausverbot; darf aber weiterhin zwischen den nicht-melkenden Kühen laufen. Im Laufstall müssten die brünstigen Kühe dann zum Bullen durchgelassen werden. Bis zum 1. April 2024 besteht eine Übergangsfrist für die Errichtung einer Bullenbox.

Sperma-Lieferant Stationsbulle

Wie viel Sperma gibt ein Zuchtbulle? 

Für die Spermagewinnung springen Zuchtbullen auf ein Phantom, das ist eine Vorrichtung, die dem Körper einer Kuh nachempfunden ist und dadurch den natürlichen Torbogen-Reflex triggert. Statt in die Scheide einer Kuh, schachtet der Zuchtbulle seinen Penis in eine künstliche vorgewärmte Scheide aus, die ihm von einem Bullenpfleger vorgehalten wird. Damit die Spermaqualität nicht leidet, weil der Bulle sich zu sehr verausgabt, springt er in der Regel aller höchstens 2mal in der Woche auf dieses Phantom.

Im Anschluss wird das frische Ejakulat unmittelbar in einem Labor untersucht. Entscheidend sind das Volumen, die Dichte, der pH-Wert und die Motilität der Sperma-Probe – denn sie geben Aufschluss über die Qualität des Ejakulats. Die Größe des Ejakulats verändert sich übrigens mit dem Alter und Erfahrenheit des Bullens. Ein junger Bulle, der etwa 13,5 Monate (wie lange am Ende, wenn fertig genutzt?) alt ist, gibt bei seiner ersten Absamung zwischen 3 und 5 ml Sperma, während die Portion eines geübteren Bullens bei rund 8 ml liegt. Aus einem normalen Ejakulat können etwa 600 Sperma-Portionen gewonnen werden. Eine Spermadosis von 250 m l enthält etwa 15 Millionenzellen und wird vor dem Einfrieren in Flüssigstickstoff (-195 °C) um den Faktor 4 mit Nähr- und Schutzstoffen verdünnt. Nach dem Auftauen ist etwa die Hälfte der Spermien (7,5 Mio.) lebens- und befruchtungsfähig.

Kritik an der künstlichen Besamung

Der Eingriff der KB wird zunehmend kritisiert. In einigen Kreisen wird sie sogar mit einer „Vergewaltigung“ der Tiere gleichgesetzt. Auf der anderen Seite wird die künstliche Besamung als vergleichsweise kleiner Eingriff am Tier wahrgenommen, der das Tierwohl im Verhältnis nur gering einschränkt. Fakt ist, beide Verfahren haben ihr Für und Wider: Bei einer künstlichen Besamung wird der natürliche Ablauf gestört, was Stress für das Tier bedeuten kann. Auf der anderen Seite ist die Kuh keinem schweren Bullen ausgesetzt, der auf sie aufspringt. Denn der natürliche Deckakt kann für eine Kuh, die zwischen 500 und 800 kg wiegen kann eine zusätzliche Belastung sein. (Eine Otto-Normal-Kuh der Rasse Holstein-Friesian (typische schwarzbunte Milchkuh) wiegt im Schnitt 600 kg). Ihr potentieller Deckpartner wiegt in der Regel mehr als eine Tonne. 

Zusatzinfo: Wusstest du, dass der größte und schwerste Zuchtbulle der Welt 1,5 t wiegt und im Münsterland lebt? (Stand 2019)

Kurz gesagt:

Früher (vor dem Durchbruch der künstlichen Besamung) griffen mehrere Landwirte auf den gleichen Bullen zurück. Der sogenannte Gemeindebulle hat dabei verschiedene Herden im Natursprung gedeckt, so konnten sich leicht Krankheiten übertragen, die unter dem Begriff „Deckseuchen“ zusammengefasst werden. Auch, wenn die KB einen Eingriff in das Tier darstellt, ist sie gesundheitlich im Hinblick auf die Übertragung von Krankheiten unbedenklich. Mittlerweile wird der Großteil der Milchkühe künstlich besamt, ganz gleich ob ökologische oder konventionelle Produktionsrichtung. Die Haltung eines Deckbullen in der Milchviehherde, ist seit dem 1. April 2021 durch die Unfallverhütungsvorschrift Tierhaltung in der Fassung vom 12.11.2020 (VSG 4.1) weiter eingeschränkt worden. 


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